Wie das alles so war und ist mit (mir und) Alboth!

Zum ersten Mal gehört habe ich Alboth! im Sommer 1994 in einem Hamburger Plattenladen, wo ich in einer Kiste mit der Aufschrift "Sonderangebote" ihre beiden ersten CD`s "Amour 1991" und "Liebefeld" fand. Der Mann hinter der Theke sagte: "Da passiert `n bißchen mehr."

Alboth zeigen wundervoll, wie das geht mit dem entgrenzten und entgrenzenden Denken/Fühlen (zumindest musikalisch, und wie es in der Lebenspraxis gehen sollte, aber natürlich nie wird, weil ja eh alles und jeder doof ist) und v.a., daß es in dieser Lage wohltuend ist, eine utopische aber gottverdammt überlebenswichtige konstruierte Selbstverständlichkeit des Grenzen-Wegfegens zu behaupten (ohne allerdings diese natürlich gewachsenen, also geschichtlich determinierten Grenzen und Normen zu ignorieren).
Free-Jazz und Grindcore, zwei Stile mit vielen Gemeinsamkeiten und Unterschieden, formieren sich mit einer Idee von Polterklassik und einer Ahnung von Alpin-Folklore versetzt in einem Spannungsfeld, wo mit gottgegeben genialer, unverschämter, radikaler Beknacktheit und ohne Rücksicht auf bisher gültige Relationen und Proportionen weich auf hart und groß auf klein geschraubt wird. Dabei wird den einzelnen musikalischen Elementen, den Bedeutungsträgern ihrer jeweiligen Herkunftsstile, die aus ihren entwicklungsgeschichtlichen Kontexten/Bedeutungsrastern berechnend und präzise herausseziert und neu zusammengeklatscht, somit ihrer organischen Natürlichkeit beraubt wurden, als Ersatz für diese Natürlichkeit der volle Körpereinsatz und das konzentrierteste Engagement in der Durchsetzung aller möglichen und nötigen Entfaltungsmöglichkeiten geboten, wie es liebe- und verständnisvolle neue Adoptiveltern tun, die Kindern, die es nicht immer leicht hatten, die Freiheit geben, die sie für ihre gute Entwicklung brauchen; d.h. es wird zwar zitiert, aber nicht mit postmodernistischem Distanzgestus, sondern fürsorglich und mit Liebe, Leidenschaft und Liebe zur Leidenschaft (=amor fati), wie um den Ausdruck Spielfreude von seinen miefigen Assoziationen zu befreien.

Alboth! nehmen den Widerspruch zwischen (narzistischem) Idealismus und Realitätssinn, behalten beide Seiten im Auge, züchten sie musikalisch hoch und lassen das Ganze ex- oder implodieren, befreien sich damit für den Moment und geben das Paradox an den/die EndverbraucherIn weiter. Wenn Ihr mich fragt, handelt es sich um die beste, eben euphorischste Partymusik überhaupt, es müßten nur halt alle Alboth!-Fans sein. Ich für meinen Teil jedenfalls habe mir angewöhnt, zu dieser Musik auf der Matratze meiner Mitbewohnerin herumzuhüpfen, und wenn einer der von mir so geschätzten 13-, 15-, oder 17/16-Takte vorbeikommt, da dann auch im Groove zu bleiben zu versuchen. Und manchmal hüpft meine Mitbewohnerin auch mit.

Später, im Januar 96, wird mir das Vergnügen eines Interviews mit Alboth! zuteil. Bis dahin waren noch drei weitere Platten erschienen: Leib, Yorn und Ali, zwei kurze und eine lange; und auf denen war eine Entwicklung weg vom (Free-)Jazz und hin zum Industrial, aber auch zum Songhaften, weg vom Gespaltenen, hin zum Kompakteren zu verfolgen. Zudem war Herr Lieder, der phantastische Sänger, mehr in den Vordergrund gerückt. Meiner Ansicht nach war es sein Gesang, der der Musik auf diesen neueren Aufnahmen von Alboth! ihren typischen Humor erhielt, und der Kontrast zwischen diesem Gesang und dem darunterher kriechenden Pulsschlag aus Stahl (H. Grönemeyer), der die Heterogenität wieder herstellte. Mit diesem Gedanken im Kopf und ohne mir vorher den Unterschied zwischen Humor und Komik genau bewußt gemacht zu haben, gehe ich also im Januar 96 voller gespannter Erwartung und zusammen mit Kollege Alberti zu diesem Interviewtermin und platze sofort mit der Frage heraus, wie denn das sei mit der Komik, die sich ja sozusagen verlagert habe. Darauf Michael Werthmüller: Also ich habe nie Komik gemacht, Peng. Und Christian Pauli: Das ist von uns nicht so angelegt, daß das jetzt komisch wirken soll, aber wenn Du das so empfindest, geht das in Ordnung. Nun ja, etwas ernüchternd, diese erste Interviewerfahrung (nachlesen kann man das übrigens in Seven, Mai/Juni 96), aber eigentlich sollte man es ja gut finden, wenn anstatt ideeller Zentralisierung individuelle Meinungs- und Interpretationsfreiheit gewährt, gefördert und gefordert wird, und lobenswert, daß Alboth! gelassen und generös genug sind für das.

Alboth! haben das Kunststück geschafft, nach einem spektakulär grellen, sehr klaren, durchdachten, logisch ausgearbeiteten Urentwurf nicht durch Wiederholung, Selbstplagiat oder aber krampfhafte Suche nach einem neuen Stil langweilig (weil unglaubwürdig, nicht mehr mit dem eigenen Anspruch deckungsgleich) zu werden, sondern sich auf ihre Besonderheiten und Stärken zu besinnen und diese in ein anderes Formkleid zu transformieren oder zu etwas noch neuerem weiterzuentwickeln und auf diese Art ihre Radikalität beizubehalten.
Herr Pauli und Herr Kraut spielen inzwischen leider nicht mehr mit, aber dafür haben Herr Lieder und Herr Werthmüller den Herrn Tito und seine Gitarre/Computer hinzugezogen, und alle drei wohnen jetzt in Berlin. Dementsprechend tight und auch ansonsten geil klingt dann auch die neue Platte, anläßlich deren Veröffentlichung ich das hier schreibe, aber die könnt Ihr Euch jetzt selbst anhören, während ich mich auf Eure Texte freue; von meiner Seite sei hierzu nur noch gesagt, daß sie mir seit zwei, drei Wochen endlich den Mut, das Durchhaltevermögen und die positive Kraft gibt, die ich brauche, um konsequent jeden Tag mit einer Salzwasser-Nasenspülung zu beginnen, was übrigens nicht nur glücklich, abwehrstark und konzentrationsfähig macht, sondern auch fit bis zum Mittagsschlaf, jeden Tag aufs Neue. Und daß wir, d.h. wir in unserer Wohnung, uns entschlossen haben, vom 1. bis zum 10. November Bockwurstfest zu feiern, zehn Tage lang nur Bockwurst zu essen und dazu Freunde und Bekannte einzuladen, und das alles nur aus Freude über "ecco la fiera", das neue Album von Alboth!, und darüber, daß es solche Bands überhaupt gibt.
Schoenen Dank geht raus an Henning Schiss Moersen.
Otto Prokescgh