Frische Unruhe

Der Umzug nach Berlin ist vollzogen. Auch die Schweizer Institution namens Alboth! wagte sich über die Elbe um neue Musikanten zu rekrutieren und etwas frische Unruhe zu verbreiten. WESTZEIT wollte wissen, wie sich all das auf die neue Platte "Ecco La Fiera" auswirkte und führte mit dem Sänger Lieder dieses Telefonat:

W: Ihr seid mittlerweile nach Berlin umgezogen. Warum zieht man heute aus der Schweiz nach Berlin?

L: Lust. Ausserdem ist Tito aus Berlin nun ein Alboth. Kim Kaveller, die Sängerin bei "Kirkpinar" kommt von Istanbul nach Berlin.

W:Was treibt euch, Musik zu machen?

L: Unser Leben.

W: Bisher habt ihr immer Kritikerlob bekommen, dieses aber von Seiten des Publikums nie so recht geniessen können. Denkst du, das wird bei der neuen Platte anders sein? Manche finden sie fast poppig...

L: Die Entscheidung, diese Musik zu spielen ist viel früher gefallen. Dann hat sich herausgestellt, dass der Mainstream anderswo liegt. Einige Leute denken, Alboth wäre nun zugänglicher geworden für ein breiteres Publikum. Dahin gehen auch die Reaktionen auf das neue live-Programm.

W: Für mich ist "Fleischhauer" eine Art Schlüsselstück. Diese"Elektrospielerei" in den letzten 3 Minuten deutet an: ihr beherrscht auch dieses Feld, bringt dort interessante Sachen zustande. Aber der abrupte Schluss heisst: So, wir haben gezeigt, dass wir das können. Ok. Aus. Machen wir weiter bei unserem sinfonischen Lärm.

L: Nun, praktisch hat es so ausgesehen, dass wir beim Mastern festgestellt haben: An dieser Stelle des Albums fehlt noch etwas "Flächiges". So haben wir Loop-O mit einem Herzschlag aus den 20er Jahren versorgt, welchen er dann in einer Nacht auf 3 Minuten ausgetanzt hat.

W: Es gibt aber dennoch keine Stelle, an der man Luft schöpfen oder sich ausruhen kann. Auch hier wird, wie für die gesamten 36 min. der CD, volle Konzentration verlangt. Diese knappe Länge ist aber sehr angenehm, ihr beschränkt euch auf das, was ihr in einer reichlichen halben Stunde an Wichtigem sagen wollt, ohne es (was ja kein Problem wäre) übermässig auszudehnen.

L: Stimmt, man könnte die Stücke natürlich auch länger machen.

W: Irgendwann überfordert man dann vielleicht auch den Hörer / die Hörerin, sich 70 min. unentwegt zu konzentrieren.

L: Kann sein, wobei ein Film, ein Theaterstück oder ein Fussballspiel sogar 90 Minuten dauert.

W: Du bist Sänger, gleichzeitig sind die Texte für den Hörer / die Hörerin aber nur schwer verständlich, z.T. wahrscheinlich sogar in einer Art Privat oder Phantasiesprache. Muss man den Text verstehen?

L: Es ist primär eine klangliche Information, in weit geöffneten und ausgeweiteten Worthüllen. Goethe sagt, die Musik ist nur dazu da, den Text zu illustrieren, wogegen Mozart meint: "Die Poesie soll der Musik gehorsame Tochter sein." Es gab und gibt immer diese beiden gegensätzlichen Haltungen. Und ich denke dies steht bei uns in einem spielerischen Gleichgewicht.

W: Auch die Stücknamen beziehen sich wohl auf konkrete Personen, deuten dies aber nur an. Welche Geschichten stecken dahinter?

L: Es sind alles irgendwelche Freunde, Bekannte, oder auch Hassobjekte. Die Titel sind wie ihre Texte Projektionsflächen.

W: Schlagzeuger Wertmüller wollte ja mal bei Dieter Schnebel studieren, ist denn die "moderne Klassik" noch immer ein Einfluss für euch?

L: Es gibt diese Anregung. Die zeitgenössische klassische Musik ist leider entfernt von Körperlichkeit oder dem Begriff "Pop" in irgendeiner Art und Weise. Aber Werter schreibt momentan an einer Komposition für Donaueschingen. Wir freuen uns alle auf die Uraufführung im Herbst.

W: Wie kann ich mir denn die jetzt anstehenden Live Auftritte vorstellen? Mit dieser etwas weniger brachialen, feinsinniger strukturierten, aber immer noch sehr komplexen Platte im Rücken. Wird es laut?

L: Nach unseren Auftritten herrscht normalerweise Euphorie. Das Publikum kommt offenbar gut drauf, wenn sie unsere Art, den Rockenroll in seiner progressivsten Form zu zelebrieren, miterleben. Die Lautstärke hängt vom jeweiligen Raum ab. Wir sind nicht wirklich laut. Loop-O, der Tontechniker kennt unsere Situation. Lautstärke ist kein elementarer Bestandteil für diese Musik. "Sehr laut" ist dann interessant, wenn im nächsten Moment ein "sehr leise" zumindest möglich erscheint.

W: Die alte Frage: Reproduziert ihr auf der Bühne die Stücke der CD oder geht es freier zu?

L: Die Stücke sind die Ausgangslage und für das mit der Musik bekannte Publikum klar wiedererkennbar. Trotzdem lassen wir uns bei einer Alboth! Show gegenseitig alle Möglichkeiten offen. Musik SPIELEN eben.

westzeit 4/2000